Die Herrschaft der Nationalsozialisten ist seit 78 Jahren überwunden und in Zeiten lebhafter Demokratie scheinen die Verbrechen der damaligen Zeit allmählich in Vergessenheit geraten. Doch gerade Deutschland steht für die systematische Ermordung von Millionen Juden in der Verantwortung, die Erinnerungskultur aufrecht zu erhalten. Diese Aufgabe erfüllen heute Mahn- und Gedenkstätte, auf dem Gelände ehemaliger Konzentrationslager in ganz Europa. Zwei von Ihnen durfte ich im Rahmen der Schule besuchen. In meinem kleinen Artikel beleuchte ich dabei kurz die Geschichte der Konzentrationslager, bevor ich meine ganz persönlichen Gedanken, Eindrücken und Emotionen im Umgang mit diesen Orten teilen möchte und auf die Bedeutung solcher Orte für die politisch-geschichtliche Bildung eingehe. Unterstützt wird dieser Erfahrungsbericht durch eigene Fotoaufnahmen.
Das KZ-Sachsenhausen wurde im Jahre 1936 im gleichnamigen Ortsteil Oranienburgs als Arbeits- und Straflager erbaut. Mit geografischer Nähe zur damaligen Reichshauptstadt wurden dort anfangs überwiegend politische Gefangene aus Berlin untergebracht.
In den Folgejahren wurden vor allem Menschen inhaftiert, die aus ideologischen Gründen nicht zu dem gesellschaftlichen Ideal der Nationalsozialisten passten. Neben sogenannten “Asozialen” oder Homosexuellen wurden vor allem Juden zum Opfer der radikalen Rassenpolitik der Nationalsozialisten. Nach der 1942 auf der Wannsee-Konfernz beschlossenen “Endlösung der Judengfrage” wurde das Lager mehr und mehr in ein Vernichtungslager umgewandelt. Viele Menschen starben durch schlechte Lebensbedingungen, Folter oder gezielte Tötungen.
Von 1936 bis 1945 waren insgesamt 200.000 Häftlinge aus mehr als 40 Nationen im Lagerkomplex Sachsenhausen untergebracht. Im April 1945 wurde das Lager durch die Rote Armee befreit. Ab 1961 wurde auf dem Gelände des Konzentrationslagers eine Mahn- und Gedenkstätte errichtet, die bis heute besteht.
Graues und herbstliches Wetter sollten meinen Besuch der Gedenkstätte Sachsenhausen im Oktober 2021 begleiten. Für mich war es der erste Besuch eines ehemaligen Konzentrationslagers. Sich den Grausamkeiten und der Geschichtsträchtigkeit des Ortes bewusst, machten sich vor dem Besuch eine respektvolle Furcht und ein gleichzeitig vorsichtiges Interesse in mir breit. Nach einigem Warten auf den Guide ging es auf einem langen Weg in Richtung des großen Eingangstores des Lagers. Der verharmlosende Satz “Arbeit macht frei”, den alle Häftlinge an ihrer Ankunft vernommen haben müssen, hat auch mich begrüßt. Hinter dem Tor erstreckt sich die weiträumige dreieckige Lagerfläche, die durch große Mauern und vereinzelte Türme begrenzt ist. Wo ehemals geometrisch angeordnete Baracken den Häftlingen als Unterkunft dienten, erinnern heute nur noch mit Granitsteinen gefüllte Umrisse an die ehemaligen Bauten. Einzelne Baracken wurden zu Schauzwecken nachgebaut. Während wir dem Guide auf dem weiträumigen Gelände folgten, zeigte sich das Wetter in seiner vollumfänglichen Kraft. Kalter, böiger Wind, der uns fast abheben ließ, wurde begleitet von eiskalten Regentropfen, die uns direkt ins Gesicht bliesen. In diesen Momenten konnte ich für mich persönlich am ehesten nachempfinden, wie sich die zahlreichen Menschen gefühlt haben mussten, als sie in diesem Lager eingesperrt waren. Auch wenn jegliche Vorstellung wahrscheinlich niemals an die real erlebten Leiden und Grausamkeiten des Lageralltags der Häftlinge herankommt. Auch das sozialistische Antifaschismus-Denkmal aus DDR-Zeiten thronte über der ganzen Szenerie im Mittelpunkt des Lagers. Es verdeutlicht einmal mehr, dass Geschichte niemals still steht. Entscheidend ist jedoch, dass die Geschichte nicht vergessen werden sollte und jeder seinen Einfluss auf diese nehmen kann. Der Besuch hat mein Bewusstsein für diese Erkenntnis geschärft.
Theresienstadt wurde bereits 1780 von Kaiser Joseph dem II. für die Habsburger Monarchie als Festungs- und Gefängnisanlage erbaut. Ab 1941 wurde die Stadt mit der historischen Festung durch die Nationalsozialisten zu einem
Ghetto umfunktioniert, wo zuerst nur Juden aus Tschechien und später aus ganz Europa untergebracht wurden. Als “Vorzeige-Siedlung” erfüllte das Ghetto eine bedeutende Propaganda Funktion für Gäste aus aller Welt. Die Lebensbedingungen in der von der SS kontrollierten Stadt waren jedoch weit grausamer als oft dargestellt. Dem Lager wurde durch die Nationalsozialisten vor allem eine hohe Bedeutung als Sammel- und Übergangslager für die weitere Deportation europäischer Juden in
Vernichtungslager im Osten zugesprochen.
Im Ghetto Theresienstadt wurden von 1941 bis 1945 insgesamt 140.000 Menschen gefangen gehalten. Nur die wenigsten starben nicht in Vernichtungslager des Ostens. Auf Drängen einiger Opfer wurde nach dem Krieg im Jahre 1947 eine kleine Gedenkstätte eingerichtet. Erst nach 1996 entstanden in der Stadt öffentlich zugängliche Museen und Gedenkstätten.
Auf unserer Studienfahrt im April 2023 haben wir auch das KZ Theresienstadt besucht. Neben der Kleinen Festung haben wir uns ein Museum im ehemaligen Ghetto der Garnisonsstadt angesehen. Das Museum wurde in einer ehemaligen Schule des Ghettos eingerichtet. Farbenfrohe, träumerische Kinderzeichnungen, mit der Notiz, dass das Kind im Vernichtungslager Auschwitz gestorben sei, haben mich sehr betrübt und nachdenklich gemacht. Ich frage mich einmal mehr, mit welchem Recht diesen Kindern ein eigenständiges Leben verwehrt geblieben ist. Auch in der Gefängnisanlage der Kleinen Festung waren die Schilderungen der Häftlingssituation nur so von Grausamkeiten geprägt.
Als kleine Gruppe haben wir einen der berüchtigten und dunklen Zellenräume betreten. Wo wir als kleine Gruppe zusammen kaum Platz fanden, Licht und Luft nur durch ein kopfgroßes Fenster gelangen konnte, wurden damals die dreifache Anzahl an Menschen zur besonderen Strafe festgehalten. Schulter an Schulter mussten die Menschen tagelang dort ausharren. Häftlinge, die aufgrund von immenser Erschöpfung zusammengebrochen sind, waren wohl keine Seltenheit, erzählte uns der Guide. Beim Rundgang durch die historische Festung wurde deutlich, warum die Nationalsozialisten das Umfeld zu ihren abscheulichen Zwecken nutzten. Die Anlage ist sehr verwinkelt und durch viele unterirdische Gänge miteinander verbunden. In der NS-Zeit konnten lediglich zwei Personen aus der Festung fliehen und somit den Krieg überleben. Viele Zellen ähneln den stereotypischen Baracken aus Konzentrationslagern, wie sie in Sachsenhausen zu finden waren. Die Vorstellung, dass auf den ungepolsterten Eichenholzbetten abgemagerte Häftlinge dicht an dicht aneinander lagen und sich in einer Zelle mit 100 Menschen zwei kleine Toiletten teilen mussten, hatmichzutiefsttrauriggemacht.AndersalsdiemeistenHäftlingekonntenwirdie Kleine Festung und Theresienstadt ohne weiteres in Freiheit verlassen. An die Opfer des Lagers erinnern heute nur noch die Kreuze auf dem Nationalfriedhof vor der Festung.
In Deutschland ist in den letzten Jahren ein Wiederaufkeimen von Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus oder ein bloßes Unwissen über den Holocaust zu beobachten. Dieser Trend ist alarmierend und folglich sind bildungspolitischen Besuchen von Konzentrationslagern im Rahmen des Schulunterrichts eine hohe Bedeutung zuzuschreiben. Die
Verbrechen der Vergangenheit können gewiss nicht ungeschehen gemacht werden. Doch durch eine höhere Sensibilisierung für das Thema kann jeglichem Extremismus in Zukunft aktiv entgegengetreten werden.
Gedenkstätten wie das ehemalige KZ Sachsenhausen oder das KZ Theresienstadt schaffen dabei einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung und zur Aufrechterhaltung einer
verantwortungsvollen Erinnerungskultur im Bezug zum Holocaust. Der Besuch der Lager und die inhaltliche Beschäftigung mit den Verbrechen der Nationalsozialisten hat mich nachhaltig beeinflusst. Es hat mir einmal mehr gezeigt, dass die freiheitlichen Werte unserer heutigen Demokratie nicht zu jeder Zeit eine Selbstverständlichkeit in Europa waren.
Text & Fotos: Arian Wulf, Klasse 12/1